• Realisierung: Michał Majerski
  • Dauer: 80 min
  • Poster

Der Film Schlesischer Streuselkuchen – Begegnungen in Oberschlesien  von Michael Majerski bildet den letzten und zugleich den persönlichsten Teil einer Trilogie mit dem thematischen Schwerpunkt: Erfahrung von Heimat zwischen Polen und Deutschland. In einer inhaltlichen und formellen Anknüpfung an seine Dokumentarfilme Meiner Mutter Land (2005) und Meines Vaters Haus (2008) geht der Regisseur erneut den Fragen nach: Was bedeutet „Heimat“? Was ist „Identität“?

Auf der Suche nach Antworten kehrt Majerski diesmal an die Orte seiner Kindheit zurück – nach Oberschlesien. Wie schon in den Filmen zuvor steht im Mittelpunkt dieses Projekts, neben der tiefen Verwurzelung der Menschen mit ihrer Region, das Thema der traumatischen Prägung ihrer Schicksale durch die Verbundenheit mit ihrer - wie es im Polnischen heißt – „kleinen Heimat“. An die Stelle einer einsamen und herb-idyllischen Naturkulisse Pommerns treten in diesem Film die Industrielandschaften des oberschlesischen Bergbaus.  

Der Name „Oberschlesien“ wurde zum Begriff eines jahrhundertlangen deutsch-polnischen Konflikts. Seit der Volksabstimmung im Jahr 1921 bis zur Grenzöffnung 2007 stießen deutsche und polnische Interessen besonders hart aufeinander. Welche Nation hat einen Anspruch auf die Gebiete? Wer war zuerst da: Deutsche oder Polen?

Doch wo liegt diese besagte Region und die Orte, von denen man hört, dass die Großmutter dort starb, Vater geboren wurde, Tante und Onkel ihr Hab und Gut zurückgelassen haben? Folgt man heute von Deutschland aus, der Autobahn A4 Richtung Polen, weist kein Verkehrsschild darauf hin wo Oberschlesien (auf Polnisch: Górny Śląsk) beginnt, oder wo es endet. Wo ist also dieses Oberschlesien und wer sind Oberschlesier?

Michael Majerski reist Anfang Oktober 2009 von Berlin aus Richtung Osten, um das Rätsel zu lösen. Mit einer Filmkamera ausgerüstet begibt er sich ohne vorherige Recherche für drei Monate in Städte wie Gliwice (dt. Gleiwitz), Zabrze (dt. Hindenburg) und Bytom (dt. Beuthen). Das wesentliche Ziel seiner Reise ist, zu hinterfragen, was sich an den Schlesiern mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verändert hat. Gibt es im heutigen Polen, in den oberschlesischen Städten und Dörfern, noch Zeitzeugen einer scheinbar nur in der Erinnerung existierenden Kultur?

Viele schlesische Familien haben in den letzten sechzig Jahren ihre alte Heimat verlassen; die einen aufgrund von Vertreibung, die anderen eher freiwillig, weil sie dort, wo sie geboren wurden, keine Zukunft mehr sahen. Die Lücken die sie hinterließen, sind von zugereisten Ostpolen mit ihrer eigenen Sprache und Lebensart gefüllt worden. Das ursprüngliche und vor allem das deutsche Schlesien stieß bei den Neuankömmlingen auf tiefe Abneigung; anti-deutsche Propaganda der 50er Jahre verhinderte die Anerkennung deutscher Wurzeln.  Das neue liberale Europa hat bis heute nicht viel daran geändert. Eine kollektive Angst gegenüber dem deutschen Teil Schlesiens verwehrt noch immer vielen jungen Schlesiern einen Zugang zu den Ursprüngen ihrer Kultur. Ein emotionaler Identitätskonflikt begleitet sie bis heute.

„Was ist also Schlesisch, wenn heute lediglich 20% der dort lebenden Bevölkerung schlesische Wurzeln vorweisen können?“, fragt der Regisseur.

Sind die jüngsten Bestrebungen zur Erlangung einer Autonomie der Region nur eine Utopie, oder doch die Chance auf ein neues schlesisches Selbstbewusstsein?

Im Film öffnen sich die alten und die jungen Schlesier dem Regisseur und gewähren einen tiefen Einblick in ihre persönlichsten Erlebnisse, ihre Ängste, ihre Hoffnungen auf Anerkennung, aber auch in ihre Enttäuschungen, die mit dem Zusammenbruch der Volksrepublik Polen 1989 entstanden sind.

Den Menschen, die heute in Oberschlesien leben eine Stimme zu geben, ist die Intention des Regisseurs. Denn ihre Geschichte ist ein Teil seiner eigenen Biografie.

Lektorat von Senfkornverlag in Görlitz

Darauf hat man lange gewartet: „Streuselkuchen von zu Hause – Begegnungen in Oberschlesien“ ist ein bemerkenswerter Dokumentarfilm von Michael Majerski über den vergessenen Volksstamm der Oberschlesier. Diese sowohl vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit geförderte DVD wird jeden tief berühren, der aus Oberschlesien stammt oder dem diese Region am Herzen liegt. Es ist ein Film, der unter den Oberschlesiern mit Sicherheit heftig diskutiert und weiteste Verbreitung finden wird. Die vielschichtige und vielfach geschundene oberschlesische Seele wird in vielen Gesprächen mit unbekannten jungen und alten Oberschlesiern aber auch mit bekannten Landsleuten wie Prälat Pyrchalla aus Gleiwitz, dem Journalisten Michael Smolorz oder dem Vorsitzenden der Autonomiebewegung Jerzy Gorzelik dargestellt.

Alles, was zur kommunistischen Zeit auch durch polnische Chauvinisten an Unrecht an Deutschen in Oberschlesien geschah und unter den großen Teppich des Vergessens gekehrt werden sollte, wird hier dokumentiert. Zeitzeugen schildern detailliert Einzelheiten der brutalen Zwangspolonisierung der angestammten Oberschlesier. Auch das Heimweh und die Entwurzelung bis hin zur inneren Zerrissenheit von oberschlesischen Aussiedlern vor und Auswanderern nach 1989 wird dargestellt.

Dabei wird allerdings einseitig viel Sympathiewerbung für die oberschlesische Autonomiebewegung betrieben und allein „Schlesisch“ zur identitätsstiftenden und -sichernden Muttersprache deklariert. Das Ausmerzen der deutschen Sprache nach 1945 wird dargestellt, aber Deutsch hat in diesem Film in Oberschlesien keine Perspektive. Gustav Freytag, August Scholtys und Joseph Freiherr von Eichendorff sprachen jedoch ebenso Deutsch wie die oberschlesische Geschichte schreibenden Adelsfamilien von Donnersmarck, Schaffgotsch oder Ballestrem, wie ein Hans Lukaschek, ein Carl Ulitzka und ein großer Teil der heute in der Heimat und in der Fremde lebenden Oberschlesier. So fördert oder dokumentiert der Film die gefährliche Tendenz, dass heute in Freiheit nicht das Polnische sondern das „Schlesische“ die ursprüngliche deutsche Muttersprache in Oberschlesien verdrängt. Zur Achtung des schlesischen Dialekts sollte jedoch auch der Respekt vor der deutschen Sprache kommen, die eine überragende Bedeutung für die Erschließung der Vergangenheit Oberschlesiens aber auch seiner Gegenwart und Zukunft besitzt. Denn zur Renaissance der oberschlesischen Identität im heutigen Oberschlesien gehört nicht nur die Autonomiebewegung und der Einsatz für die schlesische Mundart, sondern auch die allmählich wieder zurückkehrende deutsche Sprache und Kulturarbeit, die in diesem Dokumentarfilm leider kein Thema sind. Dabei geht es nicht um nationale Vereinnahmung, sondern um den Erhalt jener typisch deutschen oberschlesischen Eigenart, die auch in Zukunft eine Bereicherung des vielvölkerhaften Miteinanders und Charakters Oberschlesiens darstellen sollte. Auch kann man den in Oberschlesien lebenden Polen, die inzwischen in der zweiten und dritten Generation dort leben, nicht generell ein Bekenntnis zur oberschlesischen Heimat absprechen, wie dies wiederholt in diesem Dokumentarfilm geschieht. Es gibt polnische Oberschlesier und wer heute für Deutsche und „Schlesier“ in Oberschlesien Zugeständnisse bei der polnischen Politik durchsetzen will, ist dabei in besonderer Weise gerade auch auf die Unterstützung wohlmeinender polnischer Oberschlesier angewiesen.

Trotz dieser Einwände muss man Michael Majerski bescheinigen, einen für die Oberschlesier wichtigen und anregenden Dokumentarfilm geschaffen zu haben, dem man nur eine große Verbreitung wünschen kann. Die Oberschlesier haben Nationalsozialismus, Kommunismus, Vertreibung, Aussiedlung und Zwangspolonisierung überstanden und man darf gespannt sein, wie sich die polnische, tschechische, „schlesische“ und deutsche Komponente unter den bekennenden Oberschlesiern in Zukunft in einem freien Europa entwickeln wird. Wünschenswert jedenfalls ist ein weiterer ähnlicher Dokumentarfilm, der auch die heutige, üppig aus Deutschland und zunehmend auch vom polnischen Staat geförderte Entfaltung deutscher Identität, Sprache und Kulturarbeit in Oberschlesien darstellt und nicht nur Oberschlesier aus dem Revier, sondern auch im Oppelner und Ratiborer Land zu Wort kommen lässt.

Die etwa einstündige DVD „Streuselkuchen von zu Hause – Begegnungen in Oberschlesien“, ein Dokumentarfilm von Michael Majerski kann zum Preis von 19,90 Euro zzgl. Versandkosten bei der Schlesischen Schatztruhe, Brüderstraße 13, 02826 Görlitz, Tel. (03581) 40 20 21, www.schlesien-heute.de bezogen werden.

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