• Realisierung: Michał Majerski
  • Dauer: 74 min
  • Motto des Films:  „Wir sind die Erben des Hasses“

„Das hier ist eine Trauerlandschaft.  Trauer und Trauma. Es ist schwierig,  da rauszukommen.  Es  ist ein Trauma, nicht verarbeitet, offen und  irgendwie  immer wieder sichtbar wird, denn wir sind nicht in der Lage, die Dinge zu beweinen.“ ( Zitat aus dem Film )

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verschwinden in Osteuropa ganze Ethnien, die Schlesier, Pommern, Masuren. Gleichgültigkeit und Schweigen liegt über dem Geschehen. Oberschlesien war seit jeher eine Begegnungs-und Brückenlandschaft zwischen West und Osteuropa. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Millionen Menschen aus dem verlorenen Ostpolen hier zwangsangesiedelt. In diese für sie fremde Welt brachten sie ihre Kultur mit und prallten prompt mit den Traditionen der einheimischen Bevölkerung zusammen. Alte und neue Bewohner, Sieger wie Besiegte, mussten fortan Tür an Tür leben. Das einzige, was diese Menschen einte, waren ihre gebrochenen Biographien.  Konnte auf einem solchen Boden neue Gemeinschaft erwachsen?  Der Film versucht diese Frage zu beantworten.

„Oberschlesien – Hier, wo wir uns begegnen“ ist ein Dokumentarfilm, der ein empfindliches und bisher tabuisiertes Thema behandelt: die deutsch-polnischen Konflikte in Oberschlesien nach dem Krieg, die zerstörte Gemeinschaft als Folge der Vertreibungen aus dem annektierten Ostpolen und die massiven Aktivitäten der polnischen Nationalisten gegen die deutschen Schlesier heute. Der Film erzählt mit schockierender Direktheit, wie seit fast siebzig Jahren die Geschichte Oberschlesiens kontinuierlich verschwiegen und verdrängt wird und wie die Spuren der alten Kulturen vernichtet werden. Zum ersten Mal werden die Bemühungen der neuen Generation von Schlesiern gezeigt zu einer eigenen Identität zu finden, ohne dabei auf ein rechts-nationalistisches Niveau abzurutschen. Der Film macht deutlich, dass das Schweigen über die Konsequenzen der Umsiedlungen und die Migration der Kulturen in Europa durchbrochen werden muss. Denn das ist eine zwingende Voraussetzung für Diskussionen über die Bildung einer neuen europäischen Identität mit gemeinsamen Werten. Erasmus MediaAwards - Grand Award 2013.

…Michael Majerski ist ein herausragender zeitgenossischer Dokumentalist des breit verstandenen deutsch-polnischen Grenzgebiets. Er ist in einer polnisch-deutsch-oberschlesischen Familie in Oberschlesien aufgewachsen. So wundert es nicht, dass er sich nun an das schwierige Thema der ethnischen Zugehörigkeit herangewagt hat. In seinen zwei letzten Dokumentarfilmen „Oberschlesien - Streuselkuchen von zu Hause“ aus dem Jahr 2010 und dem nun veröffentlichten „Oberschlesien – Hier, wo wir uns begegnen“ zeigt er die Autonomisten in dieser Region. In dem ersten Film gibt er ihnen eine Stimme. Der zweite Film überrascht nun mit einer für ihn neuen expressiven Form und auch dadurch, dass der Regisseur versucht deutliche Fragen über die Nachkriegsgeschichte und die Zukunft von Oberschlesien zu formulieren. Die Fragen sind in erster Linie an die junge Generation gerichtet, die schon die dritte Nachkriegsgeneration in den polnischen Westgebieten ist.

Majerski hat sich kein leichtes Thema ausgesucht.

Bislang hat er wie aus einem Versteck heraus menschliche Schicksale beschrieben. Seine bisherigen Filme sind Beschreibungen der Welt und ihrer Stimmen. Jetzt greift er an, versucht ganz bewusst und direkt in unser Schicksal zu intervenieren. Er fordert, endlich das Schweigen über unsere Geschichte zu durchbrechen, denn er glaubt, dass dieser Weg der richtige ist und uns in eine Welt führen wird, die geordnet und vorausschaubar ist.

Sein Film ist eine künstlerische Antwort auf die Traumata des Vergessens, die im Nachkriegseuropa allgegenwärtig sind, insbesondere in unserem Teil des Kontinents, doch fügt er sich auch ein in eine neue Welle des

Wiedererinnerns, die auch bei uns sichtbar wird.

Einige seiner Aussagen akzeptieren wir, andere nicht - wie im Leben. Nicht nur die Einwohner Oberschlesiens, einer Landschaft mit nicht entladenen Spannungen (Dziennik Zachodni) werden den Film mit Spannung sehen.

(JMP)

Oberschlesien- Hier wo, wir uns begegnen
„Nowiny Rybnik“ vom 16.10.2013
Gespräch mit Michael Majerski, schlesischer Filmregisseur und Dokumentarfilmemacher.

Warum kann in Schlesien der Krieg immer noch nicht aufhören und warum schauen sich die Menschen feindselig an? Ist das die Frage, welche die Leute Ihnen stellten, als sie sich ihren neuen Film „Oberschlesien - Hier wo wir uns begegnen“ angesehen haben?

Nach der Vorführung in Chorzow war niemand in der Lage, diesen Film zu kommentieren, keiner hat mir eine Frage gestellt. Die Menschen gingen schweigend nach Hause. Ich glaube, für viele war der Film ein Schock. Sie haben gesehen, dass Schlesien ein krankes Land ist, in dem es sich nur schwer leben, solange man hier das Klima nicht heilt.

Die Pandora Büchse, die Kiste mit den Erinnerungen an den Schmerz, war lange Zeit tief vergraben – jetzt ist sie geöffnet worden. Wir werden jetzt mit der schmerzlichen Wahrheit konfrontiert. Ich musste den Film machen, denn ich wollte eine Diskussion anregen über die Dramen, die hier passiert sind.  Und es geht nicht nur um die Schlesier, die hier schon immer leben, sondern auch um jene, die aus den ehemals polnischen Gebieten vertrieben sind und hierher kamen, aber auch um diejenigen, die hier wegen der Arbeit hergekommen sind. Wir alle sitzen im gleichen Zug. Jeder der hier lebt, gehört doch hierher, gehört zu Schlesien, egal wo er herkommt. Wenn wir nicht alle lernen, eine gemeinsame Sprache zu sprechen und uns als Schlesier zu bezeichnen, dann kommen wir nicht weit.

Für Ihre Filme erhalten Sie von den betroffenen Menschen viel Dank.  Man sieht, dass sie eine seit Jahren offene Wunde berühren.

Die Menschen sind tief berührt, sie schicken Dankschreiben aber darum geht es nicht. Schlesien ist ein kranker Raum, in dem es keine kulturellen Bindungen gibt, keine Verbindung mit der Vergangenheit. Wenn das nicht geheilt wird, dann erwartet diesen Kulturraum eine noch größere Katastrophe.

Was war die Ursache dafür, dass Sie begannen, sich für die schlesische Thematik zu interessieren?

Ich bin selbst ein Oberschlesier, aber noch vor kurzer Zeit hatte das für mich überhaupt keine Bedeutung – es ist schon ziemlich lange her, als ich von Schlesien nach Lodz ausgereist bin, um dort zu studieren und dann bin noch weiter in die Welt gezogen. Ich lebte im Ausland und ich habe mir über meine eigenen Wurzeln keine Gedanken gemacht. Die Tür in die Vergangenheit war aber die ganze Zeit geöffnet. Oberschlesien hat auf mich ziemlich lange gewartet - so lange, bis ich mir die Frage gestellt habe: Warum mache ich nichts für mich und meine Familie?

Wer waren Ihre Elter?

Meine Mutter und ihre Familie haben Deutsch und Schlesisch gesprochen. Mein Vater hat diese Sprachen gar nicht verstanden, er hat nur polnisch gesprochen. Ich bin in einem  Umfeld aufgewachsen, in dem man  Fragen über Wurzeln und Abstammung nicht gestellt hat.

Niemand hat gefragt: Was ist Schlesien? Doch schon in der Schule habe ich Unterschiede gesehen. Der eine kam von hier der andere von dort. Vor vier Jahren bin ich zum ersten Mal nach vielen Jahren nach Schlesien gereist und habe dort einen Dokumentarfilm „Oberschlesien-Streuselkuchen von zu Hause“ über Menschen gemacht, die zwischen Polen und Deutschland leben. Als ich mit den Leuten gesprochen habe, habe ich Sachen erfahren, von denen ich früher keine Ahnung hatte. In der Schule habe ich die Geschichte von den Kommunisten gelernt. Leider sehe ich, dass in den Schulen in Schlesien bis heute nicht über die Geschichte des Landes gesprochen wird. Bis heute werden die Polen auf die Deutschen gehetzt.

Wie unterscheiden sich Ihre beiden letzten Filme voneinander?

In dem ersten habe ich Menschen gefunden, die erzählt haben und ich habe zugehört. In dem neuen Film habe ich eine andere Form angewendet - ich fing an provokante Fragen zu stellen, um die Leute wach zu rütteln. Ich glaube es ist die Zeit gekommen, sich nicht mehr nur darauf zu konzentrieren, was früher war, sondern die Augen dafür zu öffnen, was heute los ist. Schon im ersten Film habe ich gesehen, dass in Schlesien Menschen leben, die sehr verschiedenen und gebrochenen Biographien haben. Hier sind sich alle mit dem aus der Kriegszeit geerbten Hass begegnet und jetzt leben Sie hier  als Nachbarn nebeneinander.

Ich habe angefangen zu fragen, warum hier so ein Drama herrscht, dass die Menschen nicht miteinander reden.  Warum ist dieser Raum so krank, warum ist Schlesien so eine Ruine, warum gibt es hier so ein Armut?

Ist es wirklich so schlecht?

Es ist sehr schlecht, weil die Menschen noch immer ein Gefühl von Unrecht in sich tragen, das sie nach wie vor nicht verarbeitet haben. Schlesien ist jetzt wie ein Loch in der Erde, aus dem eine Rauchwolke kommt. Früher war dies doch eine mehrsprachige Region, in der nebeneinander viele Kulturen gelebt haben, die sich gegenseitig ergänzt haben.

An die Stelle der Männer, die aus dem Krieg nicht zurückgekommen sind oder verjagt wurden, traten polnische Männer aus Zentralpolen, die dieses Land nicht kannten und nicht verstanden haben. Sie erschufen sich eine eigene kleine Heimat, die sich auf den kleinen Raum zwischen Wohnung im Plattenbau und der Grube beschränkte. Von wem sollte ich als Kind denn erfahren, wo ich lebe? Mein Vater hatte keine Ahnung und die Schule unter Aufsicht der kommunistischen Partei hat mir das nicht beigebracht. Unter solchen Lebensbedingungen konnte die Familien nicht richtig funktionieren und schon gar kein Gemeinschaftsgefühl aufbauen - deshalb haben wir jetzt in Schlesien so viel Pathologie. Und die kranke Situation wird so lange dauern bis alle, die hier leben, nicht über sich sagen werden: Ich bin auch ein Schlesier.

Ihrer Meinung nach hat Schlesien eine Chance zu überleben und sich endlich weiter harmonisch zu entwickeln?

Ich glaube, dass es für Schlesien noch nicht zu spät ist, weil es hier noch Menschen gibt, die sich an vieles erinnern und darüber erzählen könnten. Schlesien ist nicht die einzige Region in Europa, die durch eine fremde Kultur dominiert wurde, aber der Unterschied zu anderen Regionen ist, dass hier noch Menschen geblieben sind, Autochthonen, die letzten Indianer, wie ich sie nenne, denen es gelungen ist zu überleben und die nicht abgeschlachtet oder verjagt wurden.

Sie sind für die heutigen Politiker wie ein schlechtes Gewissen, weil ihnen damit ständig vor Augen geführt wird, dass es darum geht sich zu verständigen, damit es nicht zum nächsten Krieg kommen könnte.

Was ist heute das Wichtigste, das Dringendste?

Vor allem sollte man in Schlesien das Schulwesen radikal ändern und mit dem postkommunistischen Schulprogrammen Schluss machen. Bis heute gibt es keine Schulbücher über die schlesische Geschichte.  Es sollte klar werden: So ist die Geschichte und Punkt. Man muss auch mit den unsinnigen gegenseitigen Beschuldigungen aufhören, dass der Großvater des einen bei der Wehrmacht und des anderen bei der polnischen Sicherheitspolizei war. Das hat doch heute keine Bedeutung mehr. Immer stelle ich mir die Frage, warum in Schlesien immer noch die Vielfalt zerstört  wird? Solche Pogrome haben lange Tradition – zum Beispiel damals in Deutschland, als die Nazis an die Macht kamen. Welche Folgen das hatte, wissen wir alle. Wenn in Schlesien im Namen der politischen Korrektheit weiter diese Vielfalt zerstört wird, kann das tragisch enden.

Das Gespräch führte Isa Salomon

Meine Filme sollen über Schlesien schreien

Photo und Zwischentitel:

1.Wenn ich durch Polen fahre, sehe ich eine gigantische Bürokratie in Warschau und dicke Datschas in Masuren. Der Rest von Polen sollte sich für die schlesische Armut mitverantwortlich  fühlen.

2.Mein Traum wäre, dass sich polnische und deutsche Vertriebene an einen Tisch setzten – Danuta Skalska aus Bytom und Erika Steinbach, beide aus dem Verband der Vertriebenen. Ich wüsste nicht was daraus geworden wäre, aber reden ist doch besser als zu jammern.

3.Bytom, das durch die Bergbauschäden buchstäblich in die Erde sinkt, ist ein Drama mit Weltdimension  Mein Traum wäre eine Oper über den Untergang von Bytom zu machen.

Von Josef Krzyk
„Gazeta Wyborcza“ vom 11.10.2013 Katowice.

Michael – eigentlich Michal – Majerski, seit Ende 1970 in Deutschland arbeitend, Schlesier, lebt in Berlin und Stettin, Absolvent der Filmhochschule in Lodz, hat sich als Spezialist für Themen erwiesen, um die andere einen weiten Bogen machen.

In „ Meiner Mutter Land“ und „Meines Vaters Haus“ hat er uns über Polen erzählt, die nach dem 2.Weltkrieg Westpommern besiedelt haben, weil sie aus ihrer Heimat von Stalin verjagt wurden – und er erzählt auch über die Deutschen, die deshalb vertrieben wurden und sich einen anderen Platz zum Leben suchen mussten. Aber auch über deutsche Frauen spricht er, die trotz allem gewagt haben, dort unter den jetzt neuen und fremden Nachbarn zu bleiben. Majerski hat dabei nicht moralisiert und belehrt, sondern dokumentiert das Drama der Einen und der Anderen, der Entwurzelten, die in einer fremd gewordenen Welt verloren sind.  Majerski gelang es, die Protagonisten über ihre eigenen Geschichten zum Reden bringen, über die sie Jahrzehnte lang geschwiegen haben.

Ein ähnliches Kunststück gelang ihm in seinen schlesischen Dokumentarfilmen – „Oberschlesien-Streuselkuchen von zu Hause“ vor drei Jahren und in dem in diesen Tagen in Chorzow gezeigten „Oberschlesien - Hier, wo wir uns begegnen“ ( Lob an Krzysztof Karwat, der den Film in Rahmen der Zyklus  „Oberschlesien – die kleine Heimat“ im Theater „Rozrywki“ präsentiert hat).

Achtung Katastrophe!

Wenn der vorletzte Film eine Art nostalgische Reise durch Oberschlesien war, angereichert mit Gesprächen mit Schlesiern, die ausgewandert sind und sich ein neues Zuhause am Rhein erbauten, dann ist der neue Film von Majerski – das Ergebnis zweijähriger Arbeit - ein Schrei danach, Schlesien vor einer Katastrophe zu retten. Ein Schrei - betont durch Bilder von gesprengten Schachttürmen und toten Landschaften.

Majerski hat die Seiten Schlesiens gezeigt, die keiner von denen, die hier leben, sehen will.

Er hat eine Welt gefilmt von alten, auseinanderfallenden Arbeitersiedlungen, von armen Leuten bewohnt. Der einzig gut aussehende Ort in seinem Film ist ein neu gebauter Kreisverkehr in einer Kleinstadt, der als Kulisse für eine düstere Geschichte dient: Gleich unter der Oberfläche der neuen Straße liegen Skelette von jungen deutschen Gymnasiasten, denen irgendein Wahnsinniger in den letzten Kriegstagen befohlen hat, Soldatenuniformen anzuziehen und der sie unbewaffnet direkt vor die  Maschinengewehre der einmarschierenden Rotarmisten schickte.   

In dem schlesischen Städtchen, in dem das passiert ist, wissen viele davon, aber nur einer – Majerski zeigt ihn – trauert. Er wohnt dort erst seit der Nachkriegszeit und ist kein Schlesier.

Er hat eine ähnliche Geschichte zu erzählen über seinen Großvater, der in der Nachkriegszeit von polnischen Sicherheitsbehörden des Polizeireviers in Mielec auf dem Müll vergraben wurde.

Ähnlich traurig ist auch die Szene, in der die Kamera das Gelände der ehemaligen Lagers der NKWD in Tost besucht. Es ist vor Kurzem in ein Kohlenlager umgewandelt worden. Die Angehörigen derer, die hier zu Tode gefoltert wurden, dürfen keine Blumen niederlegen, weil sie nicht durch das Tor durchgelassen werden.

Die Erben des Hasses

Der Film von Majerski ist aber keine Abrechnung mit schlesischer Nachkriegsgeschichte,  obwohl viele von seinen Protagonisten über ihr Unrecht  erzählen.

Majerski legt Wert darauf, dass sichtbar wird, wie wenig die Bewohner Schlesiens über einander wissen. Die Tatsache, dass sie alle in getrennten Welten und ohne wirkliche Kontakte untereinander leben,  ist der Meinung des Regisseurs zufolge die Ursache der sich immer mehr vergrößernden schlesischer Katastrophe. „Nicht das fehlende Geld, sondern der  fehlende Wille ist der Grund, weshalb Oberschlesien nicht dem Ruhrgebiet ähnelt“.
Majerski beginnt seinen Film mit einem  Motto, einer Warnung: „Wir sind die Erben des Hasses“. Unbewusst bestätigen das auch einige seiner Protagonisten. Seit über 60 Jahren leben sie auf gepackten Koffern und denken an die Schicksale der längst verstorbenen Eltern und Großeltern - und Majerski glaubt, dass auf diese Weise die Traumata an die nächste Generation weitergegeben werden.

Die Politik – jetzt seid ihr an der Reihe

Der Filmemacher meint, dass der Ausbruch aus dem verfluchten Kreis nur durch Annährung von allen gesellschaftlichen Kreisen in Schlesien und vor allem durch eine gründliche Reform der Schulbildung möglich sein kann. Eine erste Unterrichtsstunde  hat er selber während seiner Arbeit an dem Film gegeben – die Schüler  des Slowacki Lyzeum in Chorzow  haben erfahren, dass ihre Schule früher einen anderen Namensgeber hatte.
Dieser Film – das hat Majerski selber gesagt – ist für junge Menschen gedacht, damit diese ihre Augen für die Umwelt öffnen, in der sie leben. Es wäre aber auch gut, wenn sich diesen Film „Oberschlesien – Hier, wo wir uns begegnen“  auch Politiker anschauen würden, denn Majerski, der die Politik  meidet, hat eine Wirklichkeit berührt, die sich nicht ändern wird, wenn die Politiker sie weiter ignorieren. Leider weiß man jedoch nicht, wo und wann man sich den Film nochmals anschauen könnte, da er nur selten gezeigt wird, was sehr schade ist.

Ein Gespräch mit Michael Majerski

Josef Krzyk: Warum haben Sie Oberschlesien in so düsteren Farben gezeigt, sind wir wirklich so?

Michael Majerski: Das ist nur ein Kostüm, das aus dem Thema des Films hervorgeht und aus den Menschen, die ich dort getroffen habe. Als ich mit dem Drehen angefangen habe, hatte ich kein fertiges Drehbuch, ich wusste nicht in welche Richtung ich gehen werde. Hätte ich andere Menschen getroffen, würde ich in dem Film ein anderes Schlesien zeigen.

Manchmal hatte ich den Eindruck, das ist ein Film über die letzten Schlesier. Wollten sie das zeigen?

Mein Film ist ein Schrei, weil ich zu Schlesien ein sehr emotionelles Verhältnis habe. Ich stamme von hier und sehe, dass die Reste unserer Kultur verschwinden. Vielleicht ist das  ein natürlicher Ablauf der Dinge, es schmerzt aber trotzdem.

Haben sie nicht aufgehört sich als Schlesier zu fühlen, obwohl sie hier seit über 30 Jahre nicht mehr leben?

Ich bin in Polanica (Altheide Bad) geboren wo meine Mutter eine Arbeitsanweisung bekommen hatte. Dort hat sie dann meinen polnischen Vater kennen gelernt. Groß geworden bin ich aber in Gliwice (Gleiwitz), in dem Stadtteil, den man das „Bermudadreieck“ nennt. Das ist ein Viertel wo alles zusammenfällt – die  Czeslawa und die Franciszkanska Straße.

In Gliwice gibt’s doch viele schönere Plätze. Könnte man nicht lieber dort drehen?

Auseinanderfallende Siedlungen gibt’s nicht nur in meinem „Bermudadreieck“. Als ich den Film gedreht habe, habe nicht daran gedacht, ob ich gerade in Gliwice, Bytom oder Zabrze bin. Das durch  Bergbauschäden in den Boden sinkende Bytom, das ist ein Drama von entsetzlichem Ausmaß. Mein Traum wäre, darüber eine Oper zu machen.

Die Schwerindustrie, die früher für Schlesien ein Segen war, ist heute zum Fluch geworden?

Einen anderen Ort, an dem sich so viele überalterte Schwerindustrieanlagen befinden, gibt es in Polen sonst nicht. Diese Industrie gilt es komplett zu revitalisieren, Schlesien und die Schlesier alleine schaffen das aus eigenen Kräften nicht.

Was sollte man Ihrer Meinung nach tun?

Wenn es nicht diese antideutsche Einstellung gäbe, dann könnte man einen Anfang dadurch machen, dass man sich in den Zug setzt und in wenigen Stunden in das Ruhrgebiet fährt: und sich ansehen, wie man dort das Problem gelöst hat.

Sie scherzen! Dort wurden Milliarden ausgegeben. Die kriegt man in Polen nicht.

Das Geld ist nicht das Problem, sondern vor allem die fehlenden Konzepte und Entscheidungen. Wenn sich jemand mit fehlendem Geld herausredet, dann glaube ich nicht daran. Zunächst sollte man selber für eine Sache überzeugt auftreten, sich zusammen organisieren und dann wird sich das Geld finden können.

Sogar in solchen Ruinen, wie Sie in dem Film gezeigt haben, lässt sich also was machen?

Gäbe es in Oberschlesien z.B. Kunstgalerien, dann würden sich auch Investoren finden, die hier ihr Kapital investieren. Es wird dann klar: hier gibt’s  Menschen, die über den Tellerrand schauen können und sie werden unsere Vorhaben absichern können.

Wer soll das machen, wenn die Menschen, die in dem Film zu sehen sind - sogar die, die schon lange hier leben - sich in Schlesien  immer noch fremd fühlen?

Ich möchte nicht missverstanden werden, aber mir fallen hier die Vertriebenenverbände ein.  Die Menschen, die dort organisiert sind, leben oft nur in der Vergangenheit, anstatt sich Gedanken darüber zu machen, wie man das heutige Leben gestalten könnte. Ich verstehe diese Menschen gut, weil sie in ihren Traumata versunken sind und keiner ihnen dabei hilft. Es gibt doch den Spruch, dass man sich am eigenen Schopf nicht aus dem Dreck herausziehen kann. Polnische Vertriebene aus den ehemals polnischen Gebieten sind zu  hermetisch. Ich  meine: warum könnten sich  Frau Skalska und Frau Steinbach nicht zusammen an einen Tisch setzen  und über Lösungen für Schlesien sprechen?

Vielleicht weil jede von ihnen lieber über ihre eigenen Probleme reden als die der anderen zuhören will?

Ich bin mir darüber bewusst, welche Gefahren ein solches Treffen mit sich bringen würde, aber ich denke trotzdem, dass einen Versuch wert wäre. Das ist doch auf jeden Fall besser als ständiges Klagen.

Das übrige Polen hört ungern das ständige Jammern  in Oberschlesien. Wie könnte man sie von einem Meinungswechsel überzeugen?

Es geht nicht um übertriebene schlesische Ansprüche. Wenn ich durch Polen fahre, sehe ich in Warschau eine gigantische Bürokratie und dicke Datschas in Masuren. Das übrige Polen sollte sich für die schlesische Armut mitverantwortlich fühlen.

Sind sie für schlesische Autonomie?

Egal wie man das nennt, aber die Entscheidungsträger sollten doch akzeptieren, dass diese Region völlig anders als die anderen ist und man darf sie nicht mehr so behandeln wie bisher, weil das nicht funktioniert. Ich habe keine Patentrezepte, aber ich weiß, dass es mittlerweile zu wenige Einheimische in Oberschlesien gibt und sie alleine Schlesien vor dem Zusammenbruch nicht retten können.
Schlesien war immer multikulturell und so soll es auch weiterhin bleiben. Mein Traum wäre,  dass Frau Skalska und andere polnische Vertriebene sagen würden: auch wir sind Schlesier, mehrsprachige schlesische Ethnien. Schlesien ist unsere Heimat, für die wir die Verantwortung übernehmen werden und deren Schicksal in unseren Herzen liegt.

Sie sind Fantast.

Man sollte man doch mit irgendetwas anfangen, auch wenn es nur kleine Schritte wären. Durch den Film konnte sich bereits etwas bewegen. Nachdem ich mit der Kamera nach Tost gefahren bin um zu zeigen, was dort auf dem Gelände des ehemaligen  NKWD Lager passiert,  wurde dort ein Gottesdienst vom Bischoff abgehalten. Und die Schulen, in denen ich gedreht habe, haben mich eingeladen, meinen Film zu zeigen.

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